Montag, Juni 20, 2011

Von frühen Französischen Eisenbahnen und Fahren mit Luft

Ich habe dieses alte Tabetenbild erhalten:



Die auf der Rückseite der Tabete aufgeklebten Zeitungen tragen Daten zwischen 1851 und 1854, als Herstellungsort wird Paris angegeben. Doch was ist das für ein Bahnhof ?

Der Künstler hat sich einige Freiheiten gelassen, aber ich denke, er lehnte sich an den damals im Bau befindlichen Gare Saint-Lazare der dritten Generation an, der zwischen 1842 und 1853 gebaut wurde. Im Hintergrund ist eine Brücke zu erkennen, auf der sich der Place de l'Europe befindet. Das spitze Dach der Halle erinnert auch an Saint-Lazare.


Größere Kartenansicht Gare Saint-Lazare, oben ist die Brücke mit dem Place de l'Europe zu erkennen.

Der erste Bahnhof war eine Holzbaracke auf der Place de l'Europe und wurde als Embarcadère de Paris bezeichnet, was Einsteigestelle von Paris hiess. Der Bahnhof diente der 1837 eröffneten Linie nach St Germain, die erste Bahn in der Region Paris. Sie war von Beginn an als Vorortbahn für den Personennahverkehr gedacht und wurde von Beginn an nur mit Dampflokomotiven betrieben im Gegensatz zu früheren Bahnprojekten, wo auch noch Pferdezug zum Einsatz kam.

Die 19 km lange Strecke war mehr oder weniger gerade und wies kaum Steigungen auf. Kunstbauten waren bis auf eine Brücke über die Seine auch keine nötig. Ursprünglich endeten die Züge in Le Pecq. Die Verlängerung nach St-Germain erfolgte erst 1847 mit einer Atmosphärischen Eisenbahn nach System Clegg, weil man nicht glaubte, dass Lokomotiven die 2, 5 Kilometer lange 35 o/oo Rampe zum Schloss St-Germain überwinden könnten.


Atmospärische Eisenbahn System Clegg auf einer grösseren Karte betrachten



Der Name Atmosphärische Eisenbahn ist etwas verwirrend. Es müsste vielleicht eher Vakuumeisenbahn oder Lufteisenbahn heissen, aber ich benutze hier den offiziellen Begriff, wie er auch in der Fachliteratur verwendet wird. An Stelle der Lokomotive wurde der oben dargestellte Führungswagen dem Zug vorangestellt. Der Wagen wurde von einem Kolben angetrieben, der in einem oben aufgeschlitzten 60 cm weiten Rohr in der Mitte des Gleises glitt und über eine Zugstange mit dem Wagenboden des Fahrzeuges verbunden war. Die Kraft auf den Kolben wurde erzeugt indem das Rohr vor dem Kolben von einer stationären Pumpe in St-Germain am bergseitigen Ende der Strecke evakuiert wurde und die Luft auf der Hinterseite von Le Pecq aus kontrolliert nachströmen gelassen wurde. Die Pumpen mussten vier Minuten vor der Fahrt in Betrieb genommen werden um das nötige Vakuum für die Beförderung des Zuges zu erreichen. Die Talfahrt wurde ohne Antrieb mit Hilfe der Schwerkraft angetreten, wobei die Führungswagen mit speziell starken Bremsen ausgerüstet waren.

Die Maschinenanlage im Pumpenhaus beim Bahnhof St-Germain waren relativ kompliziert. Zwei 2-zylindrige Dampfmaschinen zu 200 PS trieben je eine Kolbenpumpe für die Evakuierung der Leitung an. Die Dampferzeugung erfolgte in 12 Kessel, die paarweise sich eine Feuerbüchse teilten. Zwei kleine 25 PS Dampfmaschinen trieben die Speisewasser- und Kondensatpumpen, sowie die Ventilatoren zur Belüftung des Feuers und einen Kompressor an. Die Luft des Kompressors wurde verwendet um die pneumatischen Winden anzutreiben, welche zum Rangieren in der Bergstation benutzt wurden. Am Fusse der Rampe stand eine weitere Dampfmaschine, welche Saine-Wasser zum Maschinenhaus hochpumpte. Alle Anlagen wurden von der Maschinenfabrik M. Ballot in Aras gebaut.

Das System war nicht besonders Erfolgreich weil die Dichtungen an der Oberseite des Rohrschlitzes sehr schwierig zu konstruieren waren und einen grossen Wartungsaufwand benötigten. Nachdem 1858 ein Zug entlaufen war und in der Talstation auf eine Lokomotive prallte wurde beschlossen, den Betrieb der atmosphärischen Eisenbahn einzustellen, so dass ab 1861 normale Güterzuglokomotiven die Zugförderung auf der Strecke übernahmen, welche heute von den Zügen der RER A befahren wird.


Es gibt nur wenige Illustrationen zu dieser Bahn. Diese hier zeigt einen Zug der atmosphärischen Eisenbah auf der Saine-Brücke, der nur als solches zu erkennen ist, weil die rauchende Lokomotive fehlt.

Railway bridge over Seine, Le Pecq / Saint-Germain-en-Laye (2010)

Die Brücke im Jahr 2010. Sie hat sich kaum verändert ausser dass die Mauerwerkbögen durch Stahlfachwerkträger ersetzt wurden 

Quellen:
Le Chemin de fer atmosphérique (1) und (2)  auf der Seite der Société d'Histoire du Vésinet
Traité élémentaire des chemins de fer, Volume 5 von Auguste Perdonnet (Seiten 38 - 52)
- Atmosphärische Eisenbahnen in Eisenbahn Zeitung 1848 (Seiten 40 - 42 der Google eBooks)
- Atmosphärische und pneumatische Eisenbahnen, Thomas Pohl, bahnprotal.at
- Versuche mit der sogenannten atmosphärischen Eisenbahn in Frankreich, Polytechnisches Journal, 1839
- Die sogenannte pneumatische Eisenbahn in Frankreich, Polytechnisches Journal, 1839
- Ueber die sogenannte pneumatische Eisenbahn des Hrn. Henry Pinkus. Polytechnisches Journal, 1835
- Paul Smith: Les chemins de fer atmosphériques, Teil 1 und Teil 2, 2009
Atmospheric railway, Wikipedia

Ausser der Bahn in Frankreich, gab es nur drei weitere Bahnen, die nach dem System Clegg betrieben wurden. Es sind dies:

  • Dalkey Atmospheric Railway, Kingston - Dalkey, Irland, 1844 - 1854
    Das war die älteste Bahn, die auch am längsten im Betrieb war. Die beinahe drei Kilometer lange Strecke führte über eine 9 o/oo Rampe.
  • London and Croydon Railway, Forest Hill - Croydon, England, 1846 - 1847
    Die Versuchsstrecke neben der bestehenden Strecke konnte nicht erfolgreich Betrieben werden, weil die Dampfmaschinen der Pumpstationen unzuverlässig waren. Weitere Probleme bei der Inbetriebnahme der Strecke von Forest Hill nach New Cross bewirkten die Einstellung des Betriebes.
     Weil die pneumatische Eisenbahn die konventionelle Strecke nicht auf gleichem Niveau queren konnte, entstand an dieser Strecke die älteste Überwerfung, die heute noch in Betrieb ist.

  • South Devon Railway, Exter - Newton, 1847 - 1848
    Dieses Projekt war nach Brunnel in 2140 mm Spurweite ausgeführt.
    Der Energieverbrauch war sehr hoch, weil die Pumpstationen nur ungenügend informiert waren, ob ein Zug tatsächlich in ihrem Streckensegment unterwegs war und dadurch die Dampfmaschinen oft um sonst arbeiteten. Der Betrieb wurde nie über Newton hinaus ausgedehnt, aber es wurden bereits drei weitere Pumpstationen aufgebaut, die nie genutzt wurden.


Gleisstück mit Druckrohr der South Devon Railway (Wikipedia)

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