Montag, März 30, 2009

Wasserfassen während der Fahrt

Kann eine Dampflok während der Fahrt mit Wasser betankt werden?

Ja, das geht, vorausgesetzt, dass sie über einen Tender mit einer spezielen Schöpfeinrichtung verfügt und die Gleise mit Wassertrögen versehen sind. Diese Einrichtungen ermöglichten, dass die Damfploks während der Fahrt Wasser aufnehmen konnte ohne dass der Zug anhalten musste. Sie wurden in England, Frankreich und in den USA angewendet.

Zwischen den Gleisen waren spezielle Wassertröge angebracht ... 


Wassertrog zwischen den Gleisen der 
New York Central. Der Trog war etwa 
45 cm breit, 15 cm tief und etwa 500 m lang.




... und der Tender der Lok war mit dieser Schöpfeinrichtung versehen: 

Wasseraufnahme während der Fahrt
Tender 22C306 mit Schöpfeinrichtung ausgestellt im Eisenbahnmuseum Mulhouse. 
Die Schaufel konnte durch den Heizer über den roten Hebel vor dem Trog abgesenkt werden.  
Das Wasser wird alleine aufgrund des Staudrucks durch ein Steigrohr in den Tender befördert. Meist wurde Wasser bei Geschwindigkeiten zwischen 60 und 80 km/h gefasst.


Das Schöpfsystem barg auch einige Gefahren.

Die grösste ging von dem mit hohem Druck in den Tender schiessende Wasser aus. Der Heizer konnte nur sehr schwer feststellen, ob der Tender schon voll war oder noch weiter geschöpft werden musste. Wurde der Tender überfüllt drückte das Wasser die Deckel des Tanks auf und strömte über den Tender. Das Wasser hatte bei höheren Geschwindigkeiten eine solche Energie, dass die Stirnwandtüre des nachfolgenden Reisezugwagens eingedrückt werden konnte oder die Fensterscheiben der kreuzenden Züge barsten.  (Den Reisenden in den vordersten Wagen wurden ohnehin vom Zugspersonal befohlen, die Fenster während dem Wasserfassen geschlossen zu halten).


Bei der Benutzung des Wasserschöpfsystemes
überlaufender Tender.
(Bild: 
Sammlung James Alexander Jr.)

Weiter konnte der nicht richtig angehobene Saugrüssel sich an Bahnübergängen oder Weichen verhaken und zu Entgleisungen führen oder es wurden Fremdkörper wie Unrat oder sogar Schildkröten in den Tender befördert, die dann wiederum den Ansaug für das Kesselspeisewasser verstopfen konnten.



England

Das System für die Wasseraufnahme in England zeigt dieser kleine BBC Film. Er zeigt wie die Tröge zwischen den Gleisen eingebaut werden und wie die Züge während der Fahrt Wasser aufnehmen. 

Einer der wichtigsten Züge, die von diesem System Gebrauch machten, war der Flying Scotsman, der zwischen London und Edinburgh verkehrte. Der Zug fuhr erstmals im Mai 1928 die 630 km lange Strecke ohne Halt. Für die 8 stündige Fahrt war nicht nur das Wasserschöpfsystem notwendig, sonder es mussten auch zwei Führerstandsbesatzungen mitgeführt werden. Das Personal konnte sich währen der Fahrt ablösen, weil der Führerstand vom Zug aus zugänglich war. Der Tender verfügte über einen schmalen Tunnel im Wassertank, der über einen Faltenbalg mit den Reisezugwagen verbunden war. 


Die Lokomotive des Eröffnungszuges ist erhalten geblieben. Mit einem 
zweiten Tender wurde der Wasservorrat vergrössert, so dass man bei 
Sonderfahrten das umständliche Wasserfassen unterwegs vermieden 
werden konnte. Obiges Bild zeigt die Lok bei Sonderfahrten in Amerika. 
Man beachte die automatische Kupplung und den provisorischen 
amerikanischen Schienenräumer! Das ist übrigens auch die Lok, die 
m MS Train Simulator enthalten ist. 

Kurioserweise waren die Wassertröge in England noch in Betrieb, als die Dampfloks schon lange verschwunden waren. Die Dieselloks besassen nämlich immer noch einen kleinen Dampfkessel für die Zugheizung. Auf der Lok wurde Dampf erzeugt, der durch den ganzen Zug geleitet wurde und am Ende des letzten Wagens ins Freie entwich. Die Dieselloks verfügten deshalb am Anfang auch noch über eine Schöpfvorrichtung um ohne zu halten den Wasservorrat des Heizkessel aufzufüllen!


USA

In den USA wurde das Wasserschöpfsystem auf den Strecken New York - Chicago und Philadelphia - Pitsburgh verwendet. 


Empire State Express nimmt währen der Fahrt von New York nach 
Chicago Wasser auf. Auf diesem Bild von 1905 ist der Trog im Gleis 
neben dem Zug gut zu sehen. (Wikipedia)

 
Ein Güterzug schöpft Wasser aus einem Trog zwischen den Schienen in Michigan. 
Man beachte das unter dem Tender hervorspritzende Wasser und die Betonplatten 
neben dem Gleis, die verhindert, dass die Schottersteine weggeschwemmt werden.
(Foto:
Jim Findley)


Frankreich
In Frankreich wurde das Schöpfsystem auf den Strecken von Paris nach Bordeaux und nach Le Cherbourg / Le Havre eingesetzt. Auf diesen Strecken verkehrten wichtige Reisezüge, welche die Hauptstadt mit den Seehäfen verbanden, die wiederum Ausgangspunkt der Transatlantikverbindungen waren


Links:
Non-Stop Runs and Water Troughs in New Zealand Railway Magazine, 1927.
Scooping Water in the Age of Steam von James Alexander Jr..¨
Wassertröge in England - BBC Film, der die Montage der Tröge und einige wasserfassende Züge in England zeigt.
Schöpftender der Compagnie des chemins de fer de l'État (Französisch)

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